Et in Arcadia ego

   Nicht mehr viele der heute rund 200.000 Arcadier sind noch Hirten, die mit ihren Kühen, Schafen und Ziegen die Hänge des Parnon, des  Lykaion und des Mainalo bevölkern und die ihrem Leben in der Natur, in Genügsamkeit und Gelassenheit dichtend und Panflöte blasend nachgehen. Mehr noch als eine (der 1991 im Zuge der Gebietsreform abgeschafften) Provinz der Peloponnes ist dieses Arcadien eine Landschaft der Seele und Poesie, vertraut und zugleich unerreichbar, diffus hinter den Schleiern der Jahrhunderte.

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                                                                              Thomas Cole: A dream of Arcadia

Im Mittelalter wohl entstand der moderne Mythos von Arcadien, dem bukolischen Land der Fantasie. Verborgen irgendwo in den Falten des weiten Gewandes Byzantiniens lebten die Arcadier Jahrhunderte lang ungestört von Kriegen, Pestilenz und Kreuzzügen ihre idyllische Existenz, die nach Thymian, Honig und frischem Käse duftete. So beschrieb sie  um 1500 der Neapolitaner Jacopo Sannazaro in seiner Romanze Arcadia, die Aufsehen erregte und Poussin und Guercino zu Gemälden anregte, deren Echo sich im 19. Jahrhundert in den bukolischen Landschaften von Thomas Cole und der Hudson School findet.

   Als mit den Ausläufern der Renaissance sich Manierismus und Barock in Europa breitmachten, sehnten sich Poeten und Künstler nach einer Rückkehr zur klassischen Einfachheit.  Der Überlieferung nach war es Agostino Taja aus Siena, der am 5. Oktober 1690 bei einem Dichtertreffen auf den Prati di Castello bei Rom das Vorbild Arcadiens propagierte: "Pare che noi facciamo rivivere l'antica Arcadia" (Es scheint, wir erwecken das antike Arcadien wieder zum Leben)

   Damit gab Taja den Anstoss zur Gründung der Accademia dell'Arcadia, die bis heute existiert und sich jedes Jahr im Juni im Park einer Villa auf dem Gianicolo in Rom zu einem Bankett trifft. Vierzehn Literaten aus ganz Italien waren die Gründungsmitglieder, "Hirten" genannt, die sich griechische Pseudonyme gaben.  

   Giovanni Vincenzo Gravina und Giovanni Mario Crescimbeni formulierten die Satzung und die Regeln der Akademie, die bis heute gelten. Die Dichter-Hirten sollten ihre Titel abstreifen, sich zur Schlichtheit bukolischen Lebens verpflichten, antike und frühe italienische Quellen -- etwa Homer und Dante -- studieren und dem "schlechten Geschmack" des Barocks entsagen.

   Die jährlichen Bankette im Park der selbst für Römer Verhältnisse spektakulären Villa Bosco Parrasio, zwischen dem Palazzo Corsini und der spanischen Akademie gelegen, sind eines der elitärsten Ereignisse des Römer Sommers.

   Trotz der Grosszügigkeit hoher Gönner musste die Akademie mehrfach ihren Sitz wechseln, bis ihr ein Geschenk von viertausend Escudos eines Mitglieds, des Königs von Portugal, 1725 ermöglichte, die Villa auf dem Janikulum zu bauen, die ihr seither gehört. Ursprünglich tagten die Dichterfürsten den ganzen Sommer von Mai bis Oktober im Park; seit geraumer Zeit ist die Villa jedoch vermietet mit der Auflage, sie zu pflegen und das Bankett zu gestalten. Das umfangreiche Archiv der Arcadier wird in der Biblioteca Angelica aufbewahrt.

   Die Akademie fand schon kurz nach ihrer Gründung ein starkes Echo in vielen italienischen Städten und in Portugal, wo sich Filialen gründeten und erheblich den Übergang vom Barock zum Klassizismus in Dichtung und Künsten beschleunigten. Auch heute ist für italienische Dichter die Ehre, Arcadier zu werden, vergleichbar mit dem Rang eines Académicien in Frankreich.

 

Benedikt Brenner

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